Klimawandel und seine Folgen? Perspektiven von Wetterexpertin und Agroforstpraktiker
Jan Große-Kleimann, praktizierender Agroforstlandwirt, und Claudia Kleinert sprachen auf Einladung unseres Team Agroforst Reallabor über den Klimawandel, seine Bedeutung für die Landwirtschaft am Niederrhein und Chancen durch Agroforstsysteme. Der Einladung folgten nicht nur Menschen aus der Landwirtschaft, angesprochen fühlten sich auch Interessierte jeder Altersgruppe, die sich mit dem Klimawandel und/oder nachhaltiger Ernährung beschäftigen. Viele Gäste waren jedoch auch einfach neugierig.
„Schlauer raus als rein“
Diese Chance des Austauschs und der Wissensweitergabe galt es zu nutzen, wie auch der Vizepräsident für Forschung, Innovation und Wissenstransfer der HSRW sowie Projektleiter unseres Projekts TransRegINT, Prof. Dr.-Ing- Peter Kisters, in seinem Grußwort ansprach: Neben der Verantwortung für die Ausbildung junger Menschen, habe die HSRW „die Verantwortung, wissenschaftliche Erkenntnisse in die Praxis zu überführen. Wir möchten aber nicht mit dem erhobenen Zeigefinger informieren.“ Er erhoffte sich von dem Abend, dass die Teilnehmenden „etwas schlauer aus dem Abend gehen als sie hineingegangen sind.“ Die lebhaften Gespräche im Anschluss an die Vorträge lassen darauf schließen, dass es gelungen war, Denkanstöße zu geben und Informationen zu vermitteln.
Stärken bündeln
Und sie ließen erahnen, wie wichtig Kooperation und Netzwerk sind. Der Bürgermeister der Stadt Kleve, Wolfgang Gebing, unterstrich die gemeinsame Anstrengung der Stadt Kleve, des Versuchs- und Bildungszentrums Landwirtschaft Haus Riswick und der HSRW, Bildung, Kommune und Praktiker der Landwirtschaft zu vereinen. Er bezog sich auf das Projekt „Alleen3“. Hier verpachtet die Stadt Kleve Flächen an die Landwirtschaft. Diese wird darauf in Zusammenarbeit mit unserem Agroforst Reallabor ein Agroforstsystem etablieren. Die Fläche wird beackert, bepflanzt und im Rahmen der Landesgartenschau 2029 von der Öffentlichkeit einsehbar sein. Es sind diese „vielen kleinen Schüppchen“, so Wolfgang Gebing, die den großen Wandel ermöglichen.
Dr. Franz-Josef Stork, Leitung Versuchs- und Bildungszentrum Landwirtschaft Haus Riswick, stellte in seiner Begrüßung fest, dass die Idee der Agroforstwirtschaft am Niederrhein durchaus als Provokation verstanden werden kann: „Ist das vernünftig für Zuckerrübenböden?“. Seine Meinung: „Ja.“ Die Zusammenarbeit mit der HSRW und unserem Agroforst Reallabor, unter anderem im entstehenden Projekt „Alleen3“ biete die Chance weitere Untersuchungen für die Umsetzbarkeit und den Erfolg von Agroforstsystemen anzustellen. Es gelte, Lösungen zu finden, Kohlenstoff in den Böden zu binden. Die Landwirtschaft sehe sich in der Verantwortung, allerdings: „Wir wissen nicht, was kommt in den nächsten Jahren.“
Was kommt?
Claudia Kleinert hatte in ihrem Vortrag darauf eine sehr klare Antwort: „Der Klimawandel schreitet deutlich schneller voran als absehbar.“ Ihre Erkenntnis aus 30 Jahren Wettermoderation: „Wir sind in Europa weltweit am schlimmsten von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen!“ Diese Aussage wurde von ihr mit Statistiken untermauert: Die Sommer, mit Ausnahme dieses Sommers, werden deutlich zu trocken, die Winter zu nass. Für den Winter werden 20 bis 30 Prozent mehr Regen erwartet. „Was mache ich mit Feldern, die dauerhaft unter Wasser stehen?“, fragte sie. Keine rhetorische Frage, wie sich im Anschluss herausstellte, denn Dauerregenereignisse, wie der Niederrhein sie bis ins Frühjahr dieses Jahrs erlebte, beschäftigen Landwirte aus der Niederung mit ihren schweren Böden bis heute.
Wie reagieren?
Für Landwirt Jan Große-Kleimann aus dem münsterländischen Steinfurt gibt es nur eine Option: „Alles beginnt im Boden.“ Sein verkürztes Ideal: Ein gesunder Boden sorgt für gesunde Pflanzen, die sorgen für gesunde Tiere, welche für ein gesundes Klima sorgen und damit letztlich für gesunde Menschen. Der überzeugte Agroforstpraktiker hat vor vier Jahren mit der Schaffung eines Agroforstsystems auf 10 Hektar Fläche begonnen. Leidenschaftlich, ehrlich und voller Enthusiasmus berichtete er von seinen Erfahrungen, Anfängerfehlern und auch Rückschlägen. Das Agroforstsystem, also die Kombination und Bewirtschaftung von Ackerbau oder Dauergrünland, mit oder ohne Tierhaltung, gemeinsam mit Gehölzen auf einer Fläche, bringt den Kreislauf in Gang und sorgt für Synergieeffekte. Damit ist es in seinen Augen das Kernelement einer zukunftsfähigen Landwirtschaft.
Agroforst – Mehr als ein gepflanzter Baum
Und Jan Große-Kleimann, dessen im Wachstum befindlicher Agroforst bereits von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir besichtigt wurde, zählt weitere Vorteile auf. Für ihn ist sein Agroforstsystem bestehend aus Apfelbäumen, Werthölzern wie Wildbirne und Getreide eine Nährstoffpumpe und Erosionsschutz. Es unterstützt beim Humusaufbau und der Grundwasserneubildung. Die Landnutzungseffizienz wird erhöht, da im Vergleich zu Monokulturen eine Produktivitätssteigerung pro Hektar und Fläche zu erwarten sei. Die CO2-Speicherung ist durch die Gehölze höher als bei einjähriger Ackerbaukultur. Nicht zu vergessen die höhere Sorten- und Artenvielfalt, unter anderem auch begünstigt durch das Anlegen von Blühstreifen in den Baumstreifen. Die Bäume selbst sorgen für ein Mikroklima.
Kleine Schritte der Veränderung
Offen redete Jan Große-Kleimann auch über die Herausforderungen, insbesondere im finanziellen Bereich. „Ohne weitere Einnahmequellen wie der Schweinemast und der Energieerzeugung aus PV wäre die Finanzierung des Agroforstsystems und der notwendigen Pflegemaßnahmen noch viel schwieriger als sie es sowieso schon ist.“ Gerade am Anfang eines Agroforsts braucht es andere finanzielle Quellen, denn Bäume produzieren nun einmal nicht direkt nach ihrer Pflanzung, sondern benötigen viel Pflege bis sie in einigen Jahren Erträge liefern. Wer dann die Abnehmer*innen seien, könne er heute auch noch nicht wissen. Er sieht allerdings eine Riesenchance in der Direktvermarktung. Das Roggenmehl aus dem Agroforst vermarktet er schon heute direkt und über einen lokalen Bäcker.
Sein Fazit: „Es klappt nicht immer alles schnell und sofort, aber es sind die kleinen Schritte der Veränderung mit denen wir unser Ökosystem in Schwung bringen können.“ Damit schlug er in die gleiche Kerbe wie eingangs Kleves Bürgermeister Wolfgang Gebing, der von den „vielen kleinen Schüppchen“ sprach, die den großen Wandel ermöglichen.
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