Neues Leben und Arbeiten auf dem Land
Einen bis auf den letzten Stuhl besetzten Seminarraum im Rahmen der Mittwochsakademie erleben die Organisator*innen der Vortragsreihe von der Fakultät Gesellschaft und Ökonomie der Hochschule Rhein-Waal (HSRW) auch nicht alle Tage.
Und die Besucher*innen wurden nicht enttäuscht. Auf Einladung unseres Projekts hielt Frederik Fischer, Geschäftsführer der Neulandia UG aus Berlin, einen inspirierend mitreißenden Vortrag über gemeinschaftliche Wohnformen und neue Bündnisse für das Gemeinwohl und nahm sich viel Zeit, Fragen aus dem Publikum zu beantworten.
Das KoDorf
Inspiriert durch die Gartenstadtbewegung, die Anfang des 20. Jahrhunderts in Großbritannien entstand, plant Neulandia, das sich selbst als „zu gleichen Teilen soziales Unternehmen, Bewegung und Netzwerk“ bezeichnet, sogenannte KoDörfer im ländlichen Raum. Zwei befinden sich derzeit in Planung bzw. im Aufbau: in Wiesenburg, Brandenburg sowie in Erndtebrück, NRW.
Genossenschaftlich organisiert, sollen sie das Beste aus Stadt und Land verbinden. Vorzugsweise auf Industriebrachen angesiedelt, die dafür umgewidmet werden, werden kleine, ökologisch gebaute Holzmodulhäuser bis zu einer maximalen Wohnfläche von 80m² errichtet. Für die großen Gemeinschaftsflächen soll nach Möglichkeit Bestand, im Falle von Wiesenburg etwa ein ehemaliges Sägewerk, genutzt werden. Dies ist laut Frederik Fischer aus ökologischer Sicht am sinnvollsten, da der Ressourcenverbrauch reduziert werden kann. Die Grundstücke werden von der Genossenschaft in Erbpacht erworben.
Frederik Fischer betonte, dass die KoDörfer nicht als sogenannte „Gated Communities“, also von der Außenwelt abgetrennte Wohnkomplexe, gedacht seien, sondern offen für alle aus der Region.
Ehrlich äußerte er sich auch über die finanziellen Aspekte: Eine Genossenschaft der ersten Generation, wie sie für den Bau eines KoDorfs gegründet werden muss, müsse alles finanzieren, wovon die späteren Generationen profitieren. Mindestens 30 Prozent der jeweiligen Hauskosten werden als nutzungsbezogene Genossenschaftsanteile von den Mitgliedern erworben. Das lebenslange Wohnrecht ist vererbbar. Um auszutreten, können Anteile auch wieder verkauft werden.
Für interessierte Menschen, die vielleicht erst einmal auf Probe mit Gleichgesinnten auf dem Land leben wollen, bietet Neulandia den Summer of Pioneers.
Der Summer of Pioneers
Ein Grund, weswegen viele Menschen vor dem Wechsel von der Stadt aufs Land zurückschrecken, erzählte Frederik Fischer, sei die Angst vor sozialer Isolation. Der Summer of Pioneers bringt Gleichgesinnte für einen festen Zeitraum zusammen. Dafür schnürt Neulandia ein sogenanntes Rundum-Sorglos-Paket, das eine geringe Monatsmiete für die Unterkunft sowie einen kostenlosen Platz im Coworking Space beinhaltet. Die Gegenleistung: Die Gastgeberkommune ehrenamtlich bei der Gestaltung einer lebenswerten Umgebung unterstützen und individuelle Fähigkeiten einbringen. Mit ihren Projekten haben es die sogenannten Pionier*innen in den vergangenen Jahren in mehreren Kommunen in Deutschland sowie in Lichtensteig in der Schweiz geschafft, das bürgerschaftliche Engagement aus dem Dornröschenschlaf zu küssen.
Themenbezogene Buchempfehlungen
Drei sehr verschiedene Bücher, die zu den besprochenen Themen beitragen, legte Frederik Fischer den Zuhörer*innen ans Herz. Und auch Euch wollen wir diese Empfehlungen nicht vorenthalten:
- „Resonanz – Eine Soziologie der Weltbeziehung“ von Hartmut Rosa
- „Imagined Communities“ von Benedict Anderson
- „Kapitalismus ohne Demokratie“ von Quinn Slobodian.
Neues Leben und Arbeiten am Niederrhein
Hier am Niederrhein verfolgen wir nun gespannt, wie es mit der Initiative EcoParkKleve, Gewinner des zweiten Preises der Klever Birne 2024, in den nächsten Monaten weitergeht. Nicht wenige der Mitglieder, die gemeinwohlorientiertes Leben im Kleinwohnpark planen, lauschten andächtig den Ausführungen von Frederik Fischer und holten sich vielleicht den ein oder anderen Impuls.
An sie richtete Frederik Fischer auch Empfehlungen wie die Nutzung standardisierter Wohnformen, um Baukosten gering zu halten oder auch die Gruppe erst dann weiter zu öffnen für Interessenten, wenn beispielsweise das Baurecht eingeholt wurde. Denn je größer die Gruppe anwachse, desto höher werde der Kommunikationsbedarf.
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